Östringen: Die Besitzer der Rattemühl in der Hauptstraße sind nicht glücklich über die im Ort gebräuchliche Bezeichnung für die ehemalige „Neumühle“. Heute steht Gabriele Klefenz, die Tochter des letzten Mühlenbesitzers Josef Klefenz über der Sache. Aber als Kind litt sie gehörig, wenn sie als „die aus der Rattemühl“ identifiziert wurde.

Tatsächlich erfreuen sich die Ratten keinerlei Sympathien bei den Menschen. Im Mittelalter galten sie als verhasste Verbreiter der Pest, die sich vom Unrat ernähren und in stinkenden Kanälen leben. Was lag näher, als den Namen Rattemühl  in Zusammenhang mit den unhygienischen Nagern zu bringen. Erscheint doch die Mühle am Wasser mit einem Überangebot an Nahrung als idealer Aufenthaltsort für diese gefräßigen Tiere. Aber weit gefehlt.

Helmut Essert vom Freundeskreis des Heimatmuseums stöberte in der Geschichte der Östringer Mühlen und stieß dabei auf  die Veröffentlichung von Julius Kretz , Geschichte der Mahlmühlen des Kraichgaus und Bruhrains, in den Bruchsaler Geschichtsblättern auf die wahre Herkunft des Namens.

 „1847 kaufte Gemeinderat Mathäus Schwarz die Mühle. 1854 ging die Mühle an Georg Michael Rattelmüller aus Scharndorf (Bayern) um den Preis von 7460 Gulden über.“ Demnach geht der Name auf einen ehemaligen Beistzer zurück und hat nichts, aber auch gar nicht mit den Ratten, sondern nur mit Herrn Rattelmüller zu tun.

Wenn mit dieser Veröffentlichung von der Familie Klefenz das Odium  genommen ist mit den Ratten unter einem Dach zu wohnen, wird es noch geraume Zeit brauchen bis sich diese Erkenntnis im Bewußtsein der Allgemeinheit durchsetzt.

Der Großvater von Gabriele geborene Klefenz erwarb die Mühle von der Volksbank Östringen. Leider brannte sie im Jahre 1930 vollkommen aus, wurde aber wieder aufgebaut und erneuert. Erst am 1.08 1979 stellte sie ihren Betrieb ein.

Stefan Bachstätter.

Die ehemalige Neumühle in der Östringer Hauptstraße gehörte einem Georg Michael Rattelmüller und wurde fälschlich „Rattenmühle“ genannt.

Friederike Ott lebt im südspanischen Écija. Die Diplomübersetzerin sucht in ihrer Freizeit nach Spuren und Überbleibseln von deutschen Siedlern in Andalusien. Sie sieht ihre Rolle als Vermittlerin zwischen deren Nachkommen und dem Heimatland. Für ihre Arbeit nahm sie Kontakt zum Freundeskreis Heimatmuseum Östringen auf, um Informationen über den Herkunftsort der Auswandererfamilie Hamer zu erhalten.
 Dr. Brauch führt in seinem Buch „Östringen, Geschichte einer Stadt“ keine Auswanderer nach Spanien auf. Die Anfrage der Frau Ott war der Anlass, der Sache nachzugehen.
Es dauerte Jahrhunderte, bis die spanischen Könige, sich von der Vorherrschaft der Araber befreiten und das Land für das christliche Königreich zurückeroberten. Um die kargen Landschaften Südspaniens Sierra Morena und Landstriche in den Provinzen Cordoba und Sevilla wieder zu besiedeln, schloss König Karl III. einen Vertrag ab, den der bayrische Adlige Johann Caspar von Thürriegel in die Tat umsetzte. In seinen Werbeschriften nannte er die öden Gegenden „Glückshafen“ und  „reicher Schatzkasten“. Er versprach den Kolonisten bei ihrer Ankunft nicht nur Land, sondern auch Vieh und kostenlos Werkzeuge.
Nach dem Willen der Regierung sollten sie nicht nur das Land bestellen, sondern auch den „Camino Real“, der vom Hafen von Cádiz bis nach Madrid zur Beförderung der aus Südamerika stammenden Schätze diente, sichern. Wie Adolf Hamer ließen sich über 6 000 Auswanderungswillige in kürzester Zeit auf das Angebot ein. Sie fanden harte Lebensbedingungen vor; manche kehrten zurück, viele überlebten die ersten Jahre nicht.
Friederike Ott spürte die deutschen Namen wie Hamer, Reif, Wals und Hans und andere auf, lud sie nach Écija ein und vermittelte rund 40 Nachfahren und deren Angehörigen ein Bild von ihrer ehemaligen Heimat mit dem Blick auf die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Umstände in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Die Kirchenbücher werden Auskunft über die Verwandten in Östringen geben. (Bac)

                        

Friederike Ott mit Adolf Hamer, Professor für Geschichte an der Universität in Sevilla, Nachfahre des Anton Hammer aus Östringen.
 

 

 

 

 

 

 

Es gibt ganz grob zwei Arten von Flurnamen: Naturnamen und Kulturnamen. Naturnamen geben uns Auskunft über die Natur, über wilde Pflanzen und Tiere, über die Gestalt von Bergen und Tälern, über die Art des Bodens oder einfach die Lage oder Größe einer Flur.
Ein Flurname wie Steinacker sagt uns zum Beispiel, dass dieser Acker sehr steinig ist. Der Name Eulenberg sagt uns, dass dort Eulen leben oder lebten. Ein Wald, der Buchholz heißt, wird vor allem aus Buchen bestehen. All das sind Naturnamen.
Kulturnamen dagegen geben uns Auskunft über das Tun des Menschen. Der Mensch bestellt die Felder, baut Dörfer und Städte, Straßen und Wege. Kulturnamen erinnern an all dies, an den Ackerbau, an Gebäude, aber auch an Kriege, Notzeiten und Unfälle.
Es gibt Flurnamen die uns sagen wem die Flur früher gehört hat. So hat ein Jakobsacker wohl einmal einem Bauern namens Jakob gehört, eine Pfarrwiese war einst im Besitz eines Pfarrers. Ein Name wie Burgstall erinnert an eine verschwundene Burg, in den Krautgärten wurde oder wird Kraut – also Kohl – angebaut.
Es gibt aber auch Namen, die sowohl Naturnamen als auch Kulturnamen sind. Das sind dann solche, die aus mehreren Bausteinen zusammengesetzt sind. So zum Beispiel eine Linsenhalde. Der Name sagt uns, dass dort Linsen angebaut wurden (Kultur) und dass es ein steiler Abhang ist (Natur) (Aus Flurnamen-Lexikon BW.)
Die Wortbedeutung der Flurnamen liegt bei vielen Namen auf der Hand, bei anderen ist sie augenfällig, oft gibt es mehrere mögliche Deutungen, bei denen man keiner den Vorzug geben kann. Bei einigen muss die Deutung ganz offen bleiben. Vorsicht ist geboten, wenn man Namen vorschnell volkstümlich erklären will.
Allen, die sich an der Deutung der Flurnamen beteiligen wollen, ist die Suche im „Wörterbuchnet“ zu empfehlen. Unverzichtbar ist aber das Wissen der örtlichen Bevölkerung, die ich darum bitte, ihre Kenntnisse zur Deutung der Östringer Flurnamen einzubringen.

 

Deutung Östringer Flurnamen

Gang durch die Gemarkung

Er beginnt am Mingolsheimer Weg, folgt der Goethestraße zum Brett, im Uhrzeigersinn die nördliche Gemarkung, bis zum Eichtersheimer Bruch, darauf den Schwannweg zum Bollberg, durch die Lipp zum Forlenwald, die Kuhngasse dorfauswärts bis zum Kreuzsteiner Wald, die Boppentgaler Gass bis zum Boppenthal, von der Zopfkapelle bis zum Thalsbach und dann den westlichen Bereich bis zurück an den Mingolsheimer Weg

 

Am Mingolsheimer Weg, gerade Acker, Gerade Wiesen

Unterer Dinkelberg (westl. der Goethestraße), Dinkelberg, Alter Dinkelberg  (westl. der Rettigheimerstr.). Dinkel ist ein Getreide, das auf kargen Boden wächst und eine kurze Vegetationsperiode zum Reifen benötigt.

Schleich: Talsenke wird vom Erlengraben durchflossen an der Grenze zu Mingolsheim zwischen Brett und Unterer Dinkelberg. Schleich, Schlick, Schwemmsand wie er sich bei Überschwemmungen als sandiger Lehmboden absetzt.

Brett Flurstück wie ein Brett, Flach, eben. (Fichtenplättel)

Grumbach gruon, grün. Frisch. Aus Unkenntnis der ursprünglichen Bedeutung wurde aus   Grumbach heute Krummbach 

Beim Hofwäldchen Wäldchen, das nah an einem Hof oder Dorf liegt. Meist zum Hofgut eines Adligen gehörig. (Sinsheimer Hofgut, ritterstiftliches Hofgut, Speyerer Hofgut.

Amtswiesen Wiesen die dem jeweiligen Amtsinhaber zur Nutzung überlassen wurden.

Hammelsgraben  Stallhaltung gab es ab dem 16. Jh.,Die Vieh  wurde in  Gattern im Freien gehalten.

Krötenbach

Im Ofswald  1.Of=Ofen, Köhlerofen.  2. Of=oben

Im Dorfacker nahe am Dorf gelegen

Beim Dornschlag, Am Dornschlag Schlag=dichter buscher Wald

Dornhecke Weißdorn

Vordere- Hintere Grumbach, Lichtungen.

Saum schmaler Geländestreifen

Am Habichtswald

Schafbrückenweg

Im Vorderen Egerten

In den Sangen Sange=Handvoll Ähren, sangen=Getreide schneiden und binden

Im Oberen Egert mh. egerde, egerte Brachland, Grasland, das selten landwirtschaftlich genutz wurde,  -gert = Garten

Schweintrieb

Würzwiesen, -äcker Gewürzpflanzen, Wurzeln

Huwinkel Hub= landwirtsch. Fläche, von der eine Familie leben konnte, Winkel=versteckt, entfernt, Familienname Huber

 Schenkloch,  Schenk = Wirt                                                    

Schleeberg, von Schlehen bewachsen, erstreckt sich hinter der Waldkapelle auf Angelbacher und Mühlhausener Gemarkung. Keltische Hügelgräber

Scheelberg scheel=von der Richtung abweichend, krumm

Eichtersheimerbruch  zu Ackerland umgebrochenes Land. Feuchtes Gelände Moorboden, Sumpf

Eichtersheimerteich

Hofäcker

Michelfelder Weg

Michelfelder Teich

Feierabend, an der Gemarkungsgrenze gelegen. War man hier angekommen, dann war der Arbeitstag zu Ende.

Angelbacher Teich

Forlenwald  Wald von Forle, Föhren

Bollberg Bollen runder Berg

Vorderer, Hinterer Bollbergteich

Eichbaum, hat seinen Namen von einer markanten Eiche

Stromersberg Stromer, Strohmeier, Aufseher beim Strohzehnt

Rother Boden verwitternde Primärminerale färben rot. eisenhaltig

Armenberg Grundstücke, auf denen karitative Lasten lagen, (Armenbrot)

Schwann, durch Waldrodung gewonnenes Flurstück

Obere Egerten

Gänsweide, die Spitze zwischen Haupt- und Mühlhausenerstraße grenzt an das Gewann Schenkloch und ist nach seiner Nutzung als Weide für Gänse benannt.

Sassenhammer  Mühlstraße dorfauswärts 1. Sass = Wegrain zwischen Feldern und Wiesen

  1. Sasse = tiefes ausgegrabenes Lager des Hasen (Jägersprache)

Saltern,   lat. saltaro=Flurschütz, Schutzhütte

Sultern  schw. versickern 

Storchenberg Storken=im Boden steckender Baumstrunk

Lipp germ. lipjo = schlüpfen, schleichen, schlüpfrig, ruhig fließender, sich windender Bach, sie erstreckt sich entlang der Mühlstraße dorfauswärts

Heil  früher Heye mh.Haue

Schießrain am Fuße des Gewanns Kornthal (Kandel) gelegen diente Militär, Bürgerwehr o.ä. als Übungsplatz

Teicherloch

Kalmacker Kalmia, Heidekrautgewächs

Hombach Hohe Bach, liegt zwischen den Gewannen Ebene im Osten und Heuern im Westen an der Kuhngasse dorfauswärts

Kornthal Kandel

Herrengrund gehört zu einem Herrenhof

Ebene liegt dorfauswärts links der Kuhngasse zwischen Altenberg und Altental, auch Ebnet, Ebnette, ebenes, eingeebnetes Gelände

Altental. Altenberg

Linsenberg,  hier wurden  Linsen angebaut

Benzenwiesen 1.  benzen=betteln, jammern,   oder 2. dem Benz gehörig

Ulrichberg Stadtpatron Bischof von Augsburg, Ungarn auf dem Lechfeld

Ulrichsbruch

Ulrichsgass

Ulrichsteich

Bei der Ulrichskirche

Schimmelreuther, reuthe gerodetes Gebiet

Baumgarten Grundstück mit Obstbäumen

Tannenbaum hat seinen Namen wohl von einer einzeln stehenden Tanne                                      

Fröschmann

Heuern, anheuern, für eine bestimmte Zeit pachten.

Brüdersberg 

Röth, Röth Roter Mergelkeuper, Röd roden

Mehlbaum Weißdorn, Früchte mehlig, Eberesche

Hummelberg 1. Form eines Hummelrückens  2. Hummel=Insekt

Ehrenkehl 1. Ähren-Kehl=Steilabfall, schmale Kehlung, 2. -köhl = Kraut mit krausen Blättern (Pfalz)

Boppenthalergass Gasse = schmaler Durchlass

Geisberg liegt links der Boppenthaler Gasse dorfauswärts bevor man ans Rote Kreuz kommt. 1. Hier wurden Geisen (Ziegen) geweidet oder im Gatter gehalten. 2. Geis heißt die Wiesenspirstaude, spirea ulmaria, eine von Ziegen und Schafen gesuchte Wiesenpflanze.

Tiefes Gässel  schmaler Duchlass

Am Roten Kreuz um 1800

Boppenthal 1. boppe= nach oben,   2. Knäuel Hanf nachdem es durch die Hechel gezogen ist. 3. Der Familie Bopp gehörig. Familienname Bopp ist oft bezeugt.

Hohe Birken

Hessloch Hasel-loch Haselweide

Krückenäcker, Kricke = Dürres Pferd Mähre

An der Hohen Straße, Römerstraße

Am Gallusbildhäusel Gall Körner  ließ 1718 den Bildstock erbauen

Am Odenheimer Weg

An der Odenheimer Grenze

Kreuzsteiner Wald  1740 3 Kreuzsteine bezeugt, 1932 erneuert

Kreuzsteiner Teich

Herbstbüscher Wald Herbstbüscher Teich

Am Odenheimer Wald

Sandwiesen

Weiherwiesen

Breiloch Breitloch, eine Breite hat die Größe zwischen 10 und 30 Morgen

Hubwiesen

Erlenbrückle, auch Erlenbrüchle

Kleewiesen

Am Zeuterner Weg

Schindelbach Schindelbacher Hof, Heinrich Schindelbach zu Zeutern, Zuttern) wird in einer Urkunde im Jahre 1281 als Zeuge genannt.

Peterswald und Hub „Peter Metzlers Acker beim Schindelbach gelegen“

Hub, sie bildet den westlichsten Zipfel der Gemarkung an der Grenze zu Langenbrücken und Mingolsheim; sie grenzt im Osten an das Gewann Schindelbach und im Nordosten an die Huibwiesen.

Thalsbach Dalspach

Schindelbacher Berg

Kaisersberg, kaiserlich nannte man etwas Besonderes

Rohloch roh, frisch, noch nicht bearbeitet

Schellenberg, Scholle, Schollenberg

Kasperhäusel   Caspar Pauer  später Kaspauer Häusel

Kaitländer Kait Krautländer

Steckigter Wald  Stöckigter W.Gelände auf der noch Baumstümpfe stehen von der Rodung

Steckigter Feld,

Hübschloch zur Hufe gehörig

Hohlemmel lamelle, Messerklinge, schmale, steile Schlucht

Untere Egerten

Sauwingert

Vogelsang  1. hier hörte man viele Vögel singen 2. Die Nonne Agnes Vogelsang in Speyer erhielt aus den Unterpfänden des Pfründners Wachsmut zu Östringen eine Rente.

Spiegelberg  1. lat. specula =  (An)-Höhe, Gipfel, Warte, Aussichtspunkt 2. spiggle schw. Nachlese halten bei Obstbäumen, Weinbergen, Ährenlesen

Sandkeller Sandköhle Sankuhle

Neureuth

Korridum

Langefurch

Eschentaler Bruch  (Etschen)

Frühmesswald  Im Jahre 1517 vereidigte der Probst vom Heilig-Geist-Stift Jakob Hartlieb als Frühmesser. Der Pfarrer durfte sonntags nur eine Messe lesen. Der Hilfgeistliche hielt die Frühmesse und wurde mit der Nutzung von Grundstücken entlohnt.

Markusäcker, auch Marxenäcker

Kelterwäldle  Keltergasse 1. Kelter, 2. Dr. F. Waas vermutet Kelten

Marschacker

Georgstraße  Johann Georg Rothermel tauschte sein Grundstück in der Hauptstraße für den Schulhausneubau und erhielt ein Grundstück in der Georgstraße, die er nach sich benennen durfte.

Jakobsweg, Jakob Bender überließ der Gemeinde ein Grundstück zur Erschließung des Baugebietes und durfte den Weg nach sich benennen.

Leiberg    Lei = Fels, Stein, schiefriger Boden vergleiche: Lore-Lay, Cl. Brentano erfand die Romanfigur und H. Heine warnte in Gedichtform vor der verführerischen „Lore Fels“ bei St. Goarshausen.

Allmend Grundstücke im Besitz der Dorfgemeinschaft, 1956 aufgelöst.

Zulass

Das Gebiet Zulass grenzt an die Viehweidewiesen auf der Allmend. In der Sprache der Landwirte bedeutet zulassen weibliche Tiere zum Decken zulassen. Im abgegrenzten Bereich Zulass  wurden Stuten Küche, Ziegen u.a. zum Decken zusammengeführt.

(Stefan Bachstädter, Vortrag am 23.01.2019 in der Stadtbücherei Östringen, Zusammenfassung

 

 

Ich bin Frau Historia, grammatikalisch weiblich. Ich wohne im Heimatmuseum. Ich befinde mich gerade im Sommer des Jahres 1835. Meine heutige Wohnung war damals das Rathaus. Schräg über die Straße steht das Schulhaus (heute Hotel „Östringer Hof“). Im Erdgeschoss wohnen die Lehrerfamilie Battlehner und die des Unterlehrers. Im Obergeschoss befinden sich die Schulräume. Ich betrete das Haus.

Die Haushälterin Amerie spült das Geschirr. Frau Philippina räumt es auf. Ihr Mann Johannes Baptist blättert am Tisch in Papieren. „Das wird wieder eine Prozedur werden, bis die Rechnung von der Gemeinde bezahlt ist. Maurer Bernhard Hoffmann stellt für das Loch zur Belüftung des Schulraumes sechs Gulden in Rechnung.“
„Baptist, das werden die Gemeinderäte doch einsehen, dass diese Arbeit notwendig war. Bis zu 100 Schüler unterrichtest du in einem Schulsaal. Die Buben stinken nach Stall und furzen, wo sie geh’n und steh’n. Dass du das überhaupt aushältst“.

Der Lehrer hüstelte. Er vermied es schleimlösend aufzuhusten. Das tat in der Brust weh. „Nach dem neuen Schulgesetz darf ein Lehrer nur noch 120 Kinder unterrichten. Wir haben zur Zeit über 400 Kinder. Da brauchen wir einen zweiten Unterlehrer und einen weiteren Schulraum. Der hintere, in dem die ersten und zweiten Klassen unterrichtet werden, ist feucht und ungesund. Das ganze Jahre fällt kein Sonnenstrahl hinein.“
Philippina betrachtete ihren blassen kränkelnden Mann sorgenvoll.
Ganz gegen ihre bescheidene Art mischte sich Amerie in das Gespräch ein: “Herr Hauptlehrer, Ihr habt der Gemeinde schon viele Ausgaben erspart. Ihr reinigt den Kamin, repariert den gemauerten Backofen, bessert die Fenster aus und weißelt die Zimmer. Die morsche Stalltür musstet ihr unbedingt vom Schreiner ersetzen lassen.“
„Schon gut Amerie.“
Er wandte sich wieder seiner Frau zu: „Meinen Vorschlag, im Rathaus ein Lehrzimmer einzurichten, hat das Amt abgelehnt. Stell dir vor, der Bürgermeister Ehrhardt will dem Unterlehrer eine Klasse in die Wohnstube setzen.“
„Das werden sie dem Franz und seiner Frau doch nicht antun“, empörte sich Philippina
Amarie ging heim, wo in ihrer eigenen Familie viel Arbeit auf sie wartete.

Philippina setzte sich zu ihrem Mann und seufzte: „Sie ist eine gute Seele. Weißt du noch, als wir unsere Malchen bekamen, - Gott hab sie selig - , da war sie auch gerade mit dem Wendel nieder gekommen. Sie stillte auch unseren Engel, weil ich keine Milch für die Kleine hatte, Unser süßes Mädchen wurde nie ganz gesund. Tag und nacht hustete das Kind, hatte Fieber und schließlich brachte sie der grüne Schimmel in der Ecke des Kinderzimmers um. Im Dezember wird es schon drei Jahre, dass sie aufgehimmelt ist.“.

Baptist nahm seine Frau in den Arm, als ihr Augen feucht glänzten. „Lass gut sein Pina. In einer Woche ist Östringer Markt. Da kaufen wir den Kindern was zum Anziehen. 50 Gulden erhielt ich nach dem Bericht des Schuldekans bei der letzten Visitation als Geschenk für meine gute Arbeit . Unser Pfarrer Kieser ist begeistert von meinen schulischen Ergebnissen. Er ist auch mit meinem Mesner- und Organistendienst zufrieden.“
Er fuhr fort: „ In seinem Bericht verpflichtet der Schuldekan die Gemeinde, endlich für ausreichenden geeigneten Schulraum zu sorgen. Sogar von einem Neubau ist die Rede. Aber die Gemeinde wehrt sich mit Händen und Füßen, weil sie kein Geld hat.“
„Deine Erfolge wären noch viel besser, wenn die Eltern ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken würden“, ermuntert Philippina ihren Gatten.
“In dem evangelischen Eichtersheim gehen die Kinder auch im Sommer drei Tage zur Schule. In Östringen haben die Schüler nach einem halben Jahr das meiste wieder vergessen und ich brauche Wochen bis ich die verwilderten Buben und Mädchen wieder in der Reihe habe.“

„Baptist, sei doch nicht so ungeduldig. Die Leute mögen uns. Beim Schlachten und zu den Festtagen beschenken sie uns von dem wenigen, das sie haben. Unsere Nachbarn Bruni und Erhardt lassen uns in ihren Läden anschreiben, wenn dein Gehalt nicht ausreicht. Deine Schüler achten dich, weil du ihnen die Welt erklärst. Ich höre von hier unten wie die Schüler begeistert mitmachen, wenn du Vogelstimmen nachahmst, und sie dürfen den dazu passenden Vogel erraten.“

Baptist blickte seine Frau liebevoll an und sagte: „Ich muss mich jetzt ausruhen bis die Kinder heimkommen.“ Er zog seine Schuhe aus und legte sich bekleidet auf das Bett.

Johannes Baptist Battlehner rieb sich nach dem Mittagsschlaf die Augen und schlüpfte in seine Schuhe. Er hörte seine Buben die Treppe herauf stürmen. Ferdinand stieß die Haustür als erster auf, hinter ihm schoben sich Sigmund und Heinrich durch die Tür. „Wie schaut ihr denn aus?“, rief Mutter Philippina und schlug die Hände vors Gesicht. Der elfjährige Ferdinand strahlte sie an und hielt ihr ein zappelndes Getier vor die Nase. „Schaut Mutter, ich habe im Freibach einen Krebs gefangen!“ Der neunjährige Heinrich drückte sich an die Wand, um die Dreiangel in seiner kurzen Hose zu verbergen. „Sigmund, konntest du nicht auf die beiden aufpassen. Die sind ja klitschnass.“ Barfuß standen die Abenteurer mit triefenden Kleidern vor der Mutter. „Ihr tragt Namen berühmter deutscher Kaiser. So sehen also meine kleinen Kaiser aus“, vernahmen die drei Vaters leise aber feste Stimme. „Und jetzt raus in den Hof. Wascht euch am Brunnen ab. Danach übt Klavier. Der Sigmund zuerst..“

Dem Vater gefielen die Jungen mit ihrer grenzenlosen Neugierde. Er nahm sie, sooft er konnte, mit auf die Spaziergänge. Sie bestürmten ihn mit tausend Fragen, die er geduldig beantwortete. Was die Frösche beim Quaken rufen und wo die riesige Eiche das Holz für ihren dicken Stamm und die Äste hernimmt, wollten sie wissen.

Der Sigmund war im April schon 14. Im September wird er in Bruchsal das Gymnasium besuchen. Dem Ferdinand kann die Mutter nichts abschlagen. Er hat so sanfte Augen und ein gewinnendes Lächeln. Die Mädchen finden ihn süß. Heinrich ist nicht das leibliche Kind des Lehrerehepaares. Seine Mutter Margarethe von Mercy , eine Sängerin aus Heidelberg, gab den hübschen Jungen im Frühjahr 1827 als Säugling zur Pflege ins Östringer Lehrerhaus. Der französische Einschlag von seiner Mutter und der dunkle Teint verliehen ihm etwas Exotischen inmitten der Dorfkinder.

Die Battlehners waren eine musikalische Familie. Alle Kinder lernten das Klavier spielen.
An Fastnacht kamen Kolleginnen und Kollegen aus den Nachbarorten. Philippina backte stundenlang Fastnachtsküchle im heißen Fett. Korbweise standen sie im dekorierten Schulsaal, wenn Vater zum Tanz aufspielte. Die Kinder führten allerhand Lustiges zum Ergötzen der Feiernden auf. Besonders beliebt war das Singen im Quartett in phantasievollen Kostümen.

Als Industrielehrerin aus der Stadt leitete Philippina die elfjährigen Mädchen in der Mädchenschule neben dem Rathaus in der Keltergasse, (dem Gasthaus „Zur Blume“) zum Nähen, Stricken, Häkeln und Spinnen an. Die Schülerinnen der Oberklasse nähten Hemden, Kleidungsstücke und Bettzeug, flickten, stopften und strickten Hauben, Kappen und Handschuhe oder stickten Buchstaben in die Wäschestücke.
Sie spitzten die Ohren, wenn die Lehrerin vom Leben der besseren Leute in der Stadt erzählte. „Die Leute sagen bitte und danke, wohnen in mehrstöckigen Häusern und viele haben ein Bad mit Klo im Haus.“. „Bei uns steht der Potschamber unter dem Bett und das Aborthäusle neben dem Misthaufen“, platzte die aufgeweckte Marie ungefragt heraus. „Erzählen sie uns - bitte - mehr vom Leben der feinen Leute in der Stadt“, flehte sie neugierig. Mit ihren Erzählungen und durch ihr Erscheinungsbild weckte die Lehrerin aus der Stadt Träume und Sehnsüchte der Vierzehnjährigen nach einem Leben anders als ihre Mütter es führten. Die Fünfzigjährige stammte aus gutem Hause. Ihr Vater war Oberschaffner, heute würde man sagen Verwaltungsdirektor der Hospitäler in Heidelsheim und Bretten. Sie kannte das Stadtleben in Karlsruhe, wo der Großherzog residierte. Hier unterrichtete sie und lernte ihren Mann kennen.

Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung im Heimatmuseum rief ich mir ins Gedächtnis, was aus den einzelnen Mitgliedern der Familie Battlehner geworden war.

Ein Leben lang erinnerte sich Philippina gern an die glückliche Zeit der ersten Ehejahre in Östringen. Bis zu ihrem Tod besuchte sie mit den Kindern und Enkeln die befreundete Familie Erhardt und die treue Amerie, mit deren Geißen die Kinder so gern herumgetollt waren. Mit 45 Jahren verstarb ihr geliebter Baptist an seinem Lungenleiden. Sie zog zu ihrer Schwester nach Rastatt, wo Ferdinand als Klassenbester schon nach vier Jahren im Lyceum das Abitur bestand. Er studierte in Heidelberg Medizin, wurde Arzt und Referent für Gesundheit im Innenministerium, Sigmund begann eine Kaufmannslehre in Bruchsal und wurde ein erfolgreicher Unternehmer. Heinrich Mercy arbeitete als Buchhändler in Prag, Wien und Verona, war böhmischer Abgeordneter und Vorsteher der österreich- ungarischen Buchhändlervereinigung. Es ist doch erstaunlich, was aus den drei Östringer Buben geworden ist. (Frau Historia)